Es gehört viel mehr geKRUNKt!
„Merke: Krähen sind keine Raben!“ steht in meinem Volksschulheft. Brav wie ich bin, habe ich dies bis heute getan. Obwohl beide die lateinische Bezeichnung Corvus tragen, unterscheiden sich die rabenschwarzen Vögel (Naja – die Nebelkrähe ist schwarz-grau gefärbt!) in Größe und Lebensraum. Und auch die Laute, die sie von sich geben, sind höchst unterschiedlich.
Krähen krächzen. Und wie! Doch wie macht der Rabe? Im Deutschen sagen wir: Der Rabe krächzt. Tut er aber nicht! Das Isländische hat für den Laut des Raben ein eigenes Verb – að krunka. Es ist lautmalerisch, fängt dieses metallisch heisere Schnarren ein, das Raben ausstoßen. Kein anderer Vogel darf dieses Verb für sich in Anspruch nehmen – nur der Rabe!
Als ich den wunderbaren, in diesen Tagen im Residenz Verlag erscheinenden, Roman Lifandilífslækur (Deutscher Titel: Quell des Lebens) von Bergsveinn Birgisson ins Deutsche übersetzte, gelangte ich zu einer Stelle, an der zwei unheimlich-kluge Raben in die Erzählung hüpfen. Und jetzt war guter Rat teuer. Sollte ich diese Vögel wirklich krächzen lassen? Sollten die mythologisch, volksmythologisch und kulturell aufgeladenen Vögel so klingen wie die im Mist stierlende Verwandtschaft auf der Donauinsel? Sicher nicht!
Ein neues Verb musste her! Krunken – was sonst! Doch wie eine solche Verbkreation rechtfertigen? Weder der Duden noch die von mir so geschätzte Wörterbuchplattform DWDS kannten das Wort. Aber manchmal will ein Wort in die Welt (zurück):
Im Wörterbuchnetz
wurde ich fündig. Hier war es – das Wort krunken. Die Bedeutung fand ich jedoch mit ‚ächzen‘, ’stöhnen‘ angegeben. Das würde gerade noch gehen. Doch als ich ein wenig weiterlas, fand ich, dass der Laut des Kranichs in alter Zeit mit krunken bezeichnet wurde. Also bitte: Was einst Kraniche konnten, können Raben heutzutage hundertmal besser!
Schönes Ende dieser Geschichte: Als ich dem Residenz Verlag meinen kühnen Gedankengang anvertraute, war man einverstanden. Und weil hier das Normative des Faktischen gilt, krunkt der Rabe jetzt und alle Zeit und in Ewigkeit!
Das Wort krunken eignet sich im übrigen auch dazu, pubertierendem Nachwuchs zu begegnen.
Beispiel:
Jugendliche/r: Mutter, chill!
Mutter: Was krunkst du?
Alternative: Hör auf zu krunken! Räum dein Zimmer auf!
Vielleicht noch ein Wort über den Raben in Island. Es gibt von ca. 80 Brutvögelarten nur ganz wenige, die über den Winter bleiben. Die allermeisten sind Zugvögel mit Hang zu südlicher Milde. Raben haben nicht nur wegen ihrer Intelligenz, einen besonderen Platz im Herzen der Isländer errungen. Sie heißen zwar hrafn, werden aber liebevoll als krummi bezeichnet. Wenn im Winter nur das Pfeifen des Windes zu hören ist, wenn die Konturen der Landschaft unter dickem Schnee verschwinden, ist das Krunken der Raben oft der einzige Laut, der die mächtige Stille durchdringt. Dann vor allem suchen sie die Nähe der Menschen. Dabei entstehen sogar „Freundschaften“. Mein Schwager bekommt regelmäßig Besuch von seinem Krummi, dem er gekochte Eier zu fressen gibt. Raben kommen auch in den Volksmärchen von Jón Árnason sehr oft vor und jedes Kind kennt zwei Lieder, die von Raben erzählen: Krummi krunkar úti und Krummi svaf í klettagjá. Letzteres hier zum Nachhören: https://www.youtube.com/watch?v=TdYQu-pB3nU
Ich danke dem Fotografen Birkir Pétursson Photos https://www.facebook.com/peturssonphoto/ sehr herzlich für das wunderbare Foto der beiden Raben. Er hat es genannt: Der Alte lehrt den Jungen.
Nachsatz: Dies hier ist kein Krähen-Bashing! Wenn ich auf der Donauinsel jogge, warten schon ein paar auf mich, weil sie wissen, dass ich ihnen Nüsse bringe. Sie werfen sich in Pose, flattern knapp über meinem Kopf, fliegen scheinbar zufällig vor mir auf den nächsten Lichtmast. Sie krächzen, wenn sie um die Nüsse streiten. Wer weiß: Vielleicht würden sie auch lieber krunken!
4 Antworten
Liebe Eleonore,
ich hab gerade mit Freude Deinen neuen, sehr gelungenen Blogeintrag gelesen. :)
Da ich Krähen sehr mag und ein kleiner Krähen-Nerd bin, ist mir aufgefallen, dass Du „Aaskrähe“ nicht ganz richtig verwendet hast und ich hab mir gedacht, ich sags Dir lieber, der Korrektheit halber. Bei uns in Wien haben wir eine Hybridisieruns-Zone in der sich Nebelkrähen (Corvus corone cornix) und Rabenkrähen (Corvus corone corone) (die sind ganz schwarz) freudig vermischen und lustig grau gescheckte Hybrid-Krähen produzieren. Alle Erwähnten fallen unter die Bezeichnung „Aaskrähe“. Die Einzigen die aber immer erkennbar die graue Färbung im Nacken und am Bauch haben, sind die Nebelkrähen.
Ich hab mir gedacht, vielleicht magst Du es ausbessern, aber vielleicht ist es Dir auch wurscht, weil es außer mir eh niemand interessant findet. ^^
Ich wünsch Dir allenfalls alles Liebe und hoffe alles läuft gut bei Dir.
Deine treu ergebene Grafikerin,
Sonja
O, danke, liebe Sonja! Ich habe meinem ornithologischen Buch zu sehr vertraut. Aber selbstverständlich habe ich die Aaskrähen durch die Nebelkrähen ersetzt. Jetzt fühle ich mich deutlich besser. Es geht übrigens nichts über das Vögelbeobachten. Weiß ich erst seit meiner Fremdenführerprüfung in Island. Davor hätte ich nur einen Kolibri von einem Grillhendl unterscheiden können, aber danach war ich ein Ass! Dir stets feines Krähenspähen!
Liebe RabenliebhaberInnen! Ich bin auch eine! Der sog. Rabe, den ihr so schwärmend beschreibt ist der Kolkrabe-Corvus corax und er ist der größte der europäischen Rabenvögel, die übrigens SINGVÖGEL sind. Sie krächzen singend und singen krächzend… Bei meinen vielen Aufenthalten im berühmten angenehm wanderbaren Almtal in OÖ mit dem Cumberland-Naturwildpark und der Konrad Lorenz Forschungsstelle, sind mir diese bezaubernden und vifen GesellInnen sehr oft begegnet. Die „Kolkis“ so werden sie liebevoll genannt, sind überall zu hören und zu sehen, da sie im Wildpark im Futter der anderen Wildtiere genüsslich herumstierdeln und auch einiges mitgehen lassen. Ich habe sie immer nur chlokken und chrokken gehört – Eleonore: stark betonter und behauchter, wenn nicht gekrächzter Achlaut, für Allemannen leicht nachzuahmen. Und noch was: was gibt es Schöneres für die Raben-und Nebelkrähen auf der Donauinsel und bei mir im Augarten, als in einem gut befülltem Mistkübel herumzustöbern und das Zeug quer durch den Park zu tragen oder im Flug einfach fallen zu lassen und dann dem nachzujagen. IMMER köstlichst zu beobachten. Als ich noch durch den Augarten mit dem Rad zur Arbeit fuhr, begleiteten mich die Tierchen vom Haupttor bis zu „unserem Frühstücksplatz“, der Späher gab Kund, daß ich komme und flog mit mir mit, und dann nahmen wir gemeinsam mein Frühstück zu uns, wobei ich immer noch extra Käse dabei hatte, denn den fressen sie auch aus der Hand, und verständlicherweise haben sie sich darum auch sehr gerauft. Das können auch ganz schön rauhe GesellInnen sein. Zu guter letzt: zu der Gruppe der Rabenvögel gehören Kolkraben, Rabenkrähen (schwarz), Nebelkrähen (grauschwarz), Saatkrähen (mit weißem Schnabel – Einwanderer aus Russland und Überwinterer), Eichelhäher und Tannenhäher und Dohlen (unsere bekannten Eiheimischen) Dr. Thomas Bugnyar, Biologe und Verhaltensforscher, arbeitet seit langem mit den Raben im Almtal und hat auch eine Forschungstelle in NÖ. Wenn euch das interessiert, schaut einfach nach. Es gibt auch viele Dokumentationen von seiner Arbeit mit diesen großartigen Tieren.
Das diese einmaligen streng geschützten Tiere hier eine so warme und charmante Würdigung finden, ist echt schön. Takk fyrir, Eleonore!!!
Danke für Deine kundigen Corax-Geschichten! Ich kann Dir wiederum von den Krähen auf der Donauinsel heute Mittag berichten: Die diensthabende Späherkrähe hat Laut gegeben, daraufhin sind mehrere herbeigeflattert, um mich zu becircen. Das haben sie schon kapiert, dass die langsame Läuferin in den hässlichen Outfits Nüsse hat. Welch kunstvolle Schleifen und Figuren die Krähen vor mir ziehen, um meine Aufmerksamkeit zu erwecken, ist jedes Mal ein Schlager! Alles Liebe und bleib gesund!